Diese Sitzung widmet sich der Flexibilität und Wandelbarkeit von Rassismus. Es werden verschiedene Formen und Dimensionen „neuer“ Rassismen thematisiert und anhand von Beispielen reflektiert.
Nach dieser Einheit…
Der alltägliche Rassismus ist nicht immer auf Anhieb erkennbar oder drückt sich nur durch explizit rassistische Beleidigungen aus. Vielmehr gibt es unterschiedliche und weitaus subtilere Formen des Rassismus. Étienne Balibar (1990) spricht auch von einem „Rassismus ohne Rassen“ (S. 28), ein Rassismus, der nicht mehr die biologischen Unterschiede von „Völkern“ thematisiert, sondern die angebliche Unvereinbarkeit von kultureller Differenz oder unterschiedlicher Traditionen und Lebensweisen. Adorno schrieb bereits 1955 hierzu: „Das vornehme Wort ‚Kultur‘ tritt anstelle des verpönten Ausdrucks ‚Rasse‘, bleibt aber bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch“ (S. 277). Rassismus kann sich in dieser Form unter dem Deckmantel einer akzeptierten Sprache, z.B. in gut gemeinten Absichten einzelner („Woher kommst du?“) oder in Strukturen, bspw. im Bildungssystem oder (Geographie-)Unterricht, reproduzieren. Insbesondere dann, wenn er unreflektiert bleibt. In ihren Auswirkungen sind sich die expliziten wie impliziten Formen des Rassismus für betroffene Individuen oder Gruppen jedoch ähnlich. Im Fokus der Diskussion steht also nicht ob sich Rassismus (un)absichtlich äußert oder wie etwas „gemeint ist“, sondern was die konkreten Folgen für Betroffene sind.
Aus diesem Grund diskutieren wir in dieser Lerneinheit die unterschiedlichen Formen und Dimensionen des Rassismus anhand konkreter Beispiele, mit besonderem Augenmerk auf die möglichen Konsequenzen für Betroffene.
Literatur
Adorno, Theodor W. (1955). Schuld und Abwehr. Gesammelte Schriften Band 9/2. Soziologische Schriften II. (1998) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S.122–324
Balibar, Etienne (1990). Gibt es einen »Neo-Rassismus«? In: Balibar, Étienne & Immanuel Wallerstein (Hg.) Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg: Argument Verlag, S. 23-38.
Einer der folgenden Texte:
Alikhani, B. & Rommel, I. (2018). Aufstieg des Kulturrassismus: Von Huntington zu Sarrazin. Zeitschrift für vergleichende Politikwissenschaft 12, S. 9-24. Link zum Text
Çiçek, A., Heinemann, A. & P. Mecheril (2014). Warum Rede, die direkt oder indirekt rassistische Unterscheidung aufruft, verletzen kann. In: Hentges, G., Nottbohm, K. & M. M. Jansen (Hg.) Sprache – Macht – Rassismus. Berlin: Metropol, S. 309-326.
Gomolla, M. (2017). Direkte und indirekte, institutionelle und strukturelle Diskriminierung. In: Scherr, A., El-Mafaalani, A. & G. Yüksel (Hg.) Handbuch Diskriminierung. Wiesbaden: Springer, S. 133-150.
Mecheril, P. (2007). Die Normalität des Rassismus. In: IDA NRW (Hg.) Tagungsdokumentation des Fachgesprächs zur „Normalität und Alltäglichkeit des Rassismus“, S. 4-16.
Melter, C. (2009). Rassismusunkritische soziale Arbeit? Zur (De-)Thematisierung von Rassismuserfahrungen Schwarzer Deutscher in der Jugendhilfe(forschung). In: Melter, C. & Mecheril, P. (Hg.) Rassismuskritik. Band 1: Rassismustheorie und -forschung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag, S. 277-292.
Balibar, Etienne (1990). Gibt es einen »Neo-Rassismus«? In: Balibar, Étienne & Immanuel Wallerstein (Hg.) Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg: Argument Verlag, S. 23-38.